Als ehemalige russische Kolonie war Usbekistan ebenso wie seine Nachbarländer auf vielen Ebenen dem Einfluss Russlands ausgesetzt. Nachdem mit russischer Hilfe Strassen und Infrastruktur geschaffen wurden, fand im Generalgouvernement Turkestan, wie die Region von Russland offiziell genannt wurde, ein reger Warenaustausch statt. Russische Verkaufsgüter wie Druckstoffe und Geschirr wurden exportiert, Baumwolle und Seide importiert. Nach dem Sturz des Zaren 1917 und der Übernahme durch die Sowjets wurde die Industrialisierung weiter vorangetrieben. Stalins erster Fünfjahresplan sorgte für neue Fabriken in Zentralasien und eine gleichzeitige Kollektivierung der Arbeit in Kolchosen. Viele kleine Handwerksbetriebe wurden in dieser Zeit geschlossen. Neben den wirtschaftlichen Interessen versuchten die Sowjets ihre Macht durch Unterdrückung des religiösen und traditionellen Lebens auszubauen.1927 gab es eine Kampagne für die Liberalisierung der Frau, die allerdings erstmal genau das Gegenteil bewirkte. „Hujum“, wie die Aktion genannt wurde und was soviel wie „Attacke!“ bedeutet, sollte innerhalb von 6 Monaten mit Hilfe sowjetischer Frauen die Usbekinnen dazu bringen auf ihre traditionellen Verschleierungen mit Paranja und Chachvans zu verzichten. Sie wehrten sich allerdings gegen diesen sowjetischen Übergriff und als Zeichen ihrer nationalen Identität trugen alle Frauen öfter den Paranja als weniger. Erst in den 50er Jahren legten sie ihre Schleier ab, was sie zum grossen Teil bis heute noch tun. Auch ihr heutiger Präsident Karimov, der nicht gerade als Hüter der Demokratie bekannt ist, legt wenig Wert auf Religion. Ist sie doch neben dem Staat ein weiteres wichtiges moralisches und soziales System eine Gemeinschaft zu ordnen. Und so Konflikte mit der Staatsmacht möglich.
In diesem Zusammenhang muss man die Suzanis, die in den späten Jahren der Sowjetherrschaft zu besonderen Anlässen und Feiertagen in den Handarbeitskolchosen oder Zuhause entstanden sind. Susanis, die bestickten Decken und Wandbehänge der Zentralasiaten, zeigen meist orientalische Muster und stilisierte Blumenmotive. Auf den Susanis, die in den Kolchosen entstanden sind, findet man ganz entgegen den Regeln des Islams naturalistische Bildnisse von Menschen und Tieren, Vögel, Eichhörnchen, stickende Frauen, heiratende Paare. Selbst Ganzkörperdarstellungen von Frauen in Ikat-Miniröcken gab es in dieser Zeit. Es sind handgestickte Werke nach traditionellen Motiven und ihren Interpretationen. Sie können sehr charmant sein, leicht und schwungvoll. Es ist leicht zu erkennen, das die stickenden Frauen ihre handwerklichen Freiheiten zu nutzen wussten. Viel dieser Suzanis aus den Kolchosen sind als Gedenksuzanis für Feiertage wie den ersten Mai, dem Tag der Arbeit, den Weltfrauentag am 8. März, dem 10. Oktober für die bolschewistische Revolution oder den Victory Day, dem Sieg der sowjetischen Truppen über die Deutschen im II Weltkrieg am 9. Mai, entstanden. Es gibt aus dieser Zeit auch sehr viele Suzanis mit dem Porträt von Lenin zu seinem 100 Geburtstag 1970 oder 1974 zu: „50 Jahre Lenins Tod“.
Es sind wunderbare Beispiele politisch motivierter Volkskunst. Weniger politisch aber nicht weniger schön sind die im häuslicher Umgebung entstandenen Suzanis für Fest- und Feiertage, wie Hochzeits-Suzanis mit Abbildungen des Brautpaares. Diese Tradition hat sich leider bis heute nicht erhalten.
Bilder rechte Seite, von oben nach unten:
1. Gedenksuzani von 1974. Wir sehen das Porträt eine russischen Dichters, der nicht besonders alt geworden ist.
2. Aus zwei Teilen neu zusammengesetzter Suzani. Im oberen, auf 1976 datierten Teil, sticken gut gelaunte Frauen noch mehr Suzanis.
3. Detail