La blouse roumaine

Zur Grundausstattung jeder Tracht gehört in den meisten Regionen der Welt das Hemd. „La blouse roumaine“, die rumänische Bluse, so nannte Henri Matisse eines seiner Gemälde aus dem Jahr 1940. Die Bluse ist das Sinnbild der rumänischen Tracht, einer Tracht deren Grundformen bis auf die Antike zurückgeht. Es sind die gerafften Halsausschnitte an den kragenlosen Blusen der Frauen, ihre Wickelröcke, oder die langen Hemden mit Gürtel für die Männer, deren Darstellungen man heute an den Reliefen über die Eroberung der Daker an der Trajanssäule in Rom findet.

Bis heute gibt es in der rumänischen Tracht zwei verschiedene Hemdformen. Zum einen den Archetypus des Hemdes mit einer geraden Form, dessen Schnitt schon  im Altertum verwendet wurde. Das gerade Hemd der Daker ist aus einem Stück gefertigt, und hat für die Bewegungsfreiheit unter den Achseln einen Zwickel, den pava oder broasca (=Frosch). Später wurde diese Hemdform in erster Linie von den alten Frauen getragen.

Der andere Typ ist das Faltenhemd, das am Halsausschnitt gerafft ist und aus mehreren Teilen zusammengesetzt ist. Hier gibt es viele weitere Unterteilungen, je nachdem wie die Achsel und Arme angesetzt und verziert wurden.

Jeder rumänische Trachtenhemdtypus hat eine charakteristische Anordnung der Stickerei, wobei der Schnitt das ordnende Element des Dekors ist. Der Schnitt entscheidet über die Verzierung. Beim Faltenhemd ist die Stickerei auf den Schultern, Achseln und an den Armen, als strukturierendes Element am prägnantesten. Die Ärmel haben fast immer einen dreiteilige Dekorcode: Die Achselstickerei, der „Altita”, hat die wichtigste Rolle, es folgt der „Incret“, ein einreihiger horizontaler Einsatz, und der „Râuri“, der diagonalen Zierstreifen unterhalb der Achsel und Schulter. Transsilvanische Hemden haben dazu oft noch einen Volant.

Beim gerade geschnitten Hemd werden die Partien zum Halsausschnitt sowie der Schulteransatz und den Ärmelbunden betont. Man glaubte, das die Dekorationen an den Körperöffnungen, an den Halsausschnitten und Armelbündchen, ihre Träger vor den bösen Geistern beschützen würden.

Die Muster und Motive der rumänischen Hemden und Blusen berufen sich auf die lokalen Traditionen und sozialen Faktoren. So werden z.B. die Altersunterschiede der Träger durch das Dekor des Trachtenhemdes und die Stoffe der Wickel- und Schürzenröcke gekennzeichnet. Rot war die Farbe der jungen Frauen. die Älteren trugen dunkle Töne oder Schwarz. Das galt übrigens auch für Männer. Generell galt Rot als die Farbe, die vor dem bösen Blick schützten konnte.

Ein Wesenszug der rumänischen Volkskunst ist ihre Einheitlichkeit, die trotz der grossen regionalen Unterschiede besteht. Rumänien war eine lateinische Sprachinsel im Nordosten des römischen Reiches, die lange kulturhistorisch isoliert war, unter anderem wegen der abgelegenen Lage im Westkarpatenbogen.  Innerhalb dieses abgeschlossenen Raumes lebten viele unterschiedliche Nationen, die sich voneinander abgrenzen wollten und so ein kulturelle Vielfalt ermöglichten, wie den Siebenbürgener Sachsen, die Sekler oder die Ungarn. Die Einheitlichkeit ihrer Trachten beruht auf einer ähnlichen Schnittführung mit meist rechteckigen Stoffteilen, den Rohstoffen und einer ähnlichen Farbigkeit mit Schwarz, Blau und Rot auf weissen Grund. Die einzelnen Stücke besitzen eine reizvolle Widersprüchlichkeit: Auf der einen Seite eine “geordnete Phantasie“ mit einem betonten Sinn für das Dekorative und Prächtige, auf der anderen Seite ein strenges Denken in Ordnung, Symmetrie und Gleichgewicht. Bis heute machen diese Kontraste den Reiz der rumänischen Blusen aus.

Komplett handgearbeitete Stücke finden man heute noch in ausgewählten Geschäften des Landes. Nur noch wenige, meist ältere Frauen, können die dünnen Stoffen der Blusen kunstvoll mit vielen kleinen Stickereien verzieren und die typischen Muster schaffen. In der Regel sind es Bäuerinnen ab 60 Jahren aufwärts, die die Blusen in den Sowjetzeiten in den Kolchosen hergestellt haben, und heute die langen Abende im Winter für diese Arbeit nutzen. Einen Monat dauert in etwa die Herstellung einer Bluse von Hand. Wenn diese Frauen dieses Handwerk nicht mehr ausüben können, wird es eng werden mit „la blouse roumaine“.

 Bilder, rechte Seite von oben nach unten: 

1. Frau in rumänischer Tracht aus Vicea.  Foto: Elena Zlotea. Aus: Roumanie. Bukaraest 1977

2. 1900 malte Henri Matisse mehrere Bilder zum Thema “la blouse roumaine”. Es war natürlich nicht nur die Volkskunst Rumäniens, die die Künstler der klassischen Moderne in den ersten Dekaden des 20 Jh. beeinflusste. Doch gab es, nicht zuletzt durch den in Rumänien geborenen Bildhauer Constantin Brancusi,  Überschneidungen mit Rumänien. Die Dame auf dem 1900 entstandenen Bild “La blouse roumaine” von Henri Matisse trägt ein klassisches Faltenhemd. Henri Matisse, Le blouse romaine, Öl auf Leinwand, 1940. Centre Pompidou

3. An den Volants am Ärmel kann man unschwer erkennen, das es sich um ein transilvanisches Damenkränzchen handelt. Frauen aus Bistrita-Nasaud. Foto: Ion Miclea aus: Romania, Sibiu 1982

4. Mädchen in Tracht aus der Region Vrancea. Das Hemd hat Spiralärmel (mineca rasucita) Foto: Elena Zlotea. Aus: Roumanie. Bukaraest 1977

5. Hier sieht man sehr schön die oben beschriebene Dreiteilung der Ärmelstickerei.