Druckstoffe in Usbekistan

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Die textilen Traditionen des Landes, die Stoffqualitäten und das Wissen darum, werden jedem Usbekistanreisenden früher oder später auffallen. Auch wenn sie heute, zwischen all den Polyesterstoffen, den Pannesamt-Mänteln, Plastikpuschen, Strasssteinen und Tigerprints versteckt sind, so sind sie doch im textilen Handwerk noch überall zu spüren. Nicht zuletzt durch die Renaissance der alten Techniken wie Ikatweberei und Suzanistickerei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als alle Textilfabriken und Kolchosen, die in der Sowjetära aufgebaut wurden, geschlossen wurden. Heute, unter dem diktatorischen Regime Karimovs, wurden zumindest die alten Handwerksbetriebe wieder in Betrieb genommen, gefördert und unterstützt.

Neben den handgearbeiteten Stoffen spielten in Usbekistan auch die Druckstoffe eine große Rolle. In den Zeiten des „Great Games“, dem Rennen der Kolonialmächte um ihre Kolonien, versuchten die Engländer mit ihren Druckstoffen auf dem zentralasiatischen Markt Fuß zu fassen. Diese Stoffe waren wegen der höheren Qualität und Preise auch sehr beliebt. Als Russland das Rennen um Zentralasien gewann, wurden die englischen Stoffe weitgehend von der russischen Industrieware verdrängt. Diese bunten, oft psychedelisch wirkenden Druckstoffe verdrängten auch das Handwerk des Blockprints, mit dem bis zum Ende des 19 Jh. noch viele Stoffe dekoriert wurden.

Für die Russen wurde Zentralasien ein wichtiger Absatzmarkt für ihre Druckstoffe. Mit ihren Chintz- und Druckstoffen fanden sie eine Nische zwischen den teuren heimischen Seiden- und Samtstoffen und den sehr viel billigeren Adras-Stoffen und Blockprints. Die russischen Druckstoffe wurden immer und überall verwendet. Ob die Chapans damit gefüttert wurden, Kleider genäht oder Decken und Matratzen, die russischen Blumenprints gehörten zu Zentralasien wie die Sonne und der Tee. Auch in teure Luxusmäntel nähte man gerne einen bunten Mix aus verschiedenen russischen Druckstoffen. Nicht weil es billiger war, das wäre ein Seidenfutter damals gewesen, nein, aus rein ästhetischen Gesichtspunkten. Das ist der zentralasiatische, funky Textilgeschmack. Man darf nicht vergessen: Für die Usbeken passen alle Stoffe und alle Muster zusammen. Das ist eine inspirierende und interessante Haltung, wenn man erstmal seine europäischen Vorstellungen von Design und Harmonie über Bord geworfen hat. Ausserdem war es nach muslimischen Sitten auch nicht angebracht Seide auf der Haut zu haben. Die Kombination von vielen Mustern trugen übrigens auch die muslimischen Derwische. Viele verschiedenen Stoffe verwirren schließlich die bösen Geister. Noch ein Grund für den Mustermix.

Die russischen Stoffe kamen aus den Textilfabriken vor den Toren Moskaus. Peter der Große heuerte im 18. Jh. französische Handwerker und Unternehmer für den Aufbau von Textilmanufakturen an. So entwickelte sich der Ort Ivanovo durch die erste Textildruckfabriken 1787 und Baumwollspinnereien 1838 zu einer Art russischen Manchester.

Die erste Modefarbe war das türkische Rot, das im ersten Viertel des 19 Jh. den russischen Markt bestimmte. Die Farbe kam aus Europa, so wie auch die meisten Designs europäisch waren, bzw. aus England und Frankreich stammten. Ein eigenes russisches Design, das stark an der Volkskunst orientiert war, entwickelte sich erst in der zweiten Hälfte des 19 Jh. Dabei kam ein starker Einfluss von den russischen Kunstschulen, die damals sehr an ein Revival der Volkskunst als einzig wahre russische Kultur glaubten. Zumindest was die Ästhetik betraf. Auch die englischen Arts and Craft Bewegung um William Morris spielte eine Rolle, was man deutlich an den unterschiedlichen Blumendrucken erkennen kann, die eine  Mischung aus russischem Handwerk und Art Nouveau sind.

Die nächste entscheidende Welle kam dann mit dem Gestaltungselementen des Suprematismus um Künstler wie Kasimir Malewitsch und El Lissitzky. So kamen unter anderem dreidimensionale Formen in die textilen Muster. Mit dem konstruktivistischen Design, das sich im Zuge der Oktoberrevolution als Zeichen der Moderne in Russland immer mehr durchsetze, zogen geometrische Muster in die Textilprints, die auch oft politisch orientiert waren. Es gab Traktormuster, Eisenbahnen und Flugzeuge zwischen Blumen und lachenden Menschen und jede Menge anderer Propagandamotive, die Revolution und Fortschritt thematisierten.

Die kleinen usbekischen Textilfabriken, die in den 20er Jahren entstanden und die Stoffe „a la Russe“ druckten, lieferten eine so schlechte Qualität, das sie für die Importstoffe aus Russland keine Konkurrenz waren. Deshalb wurden zwischen 1920-1940 nicht allzuviel Druckstoffe produziert. Das älteste sowjetische Textilkombinat in Usbekistan ist das Tashkent Textile Kombinat, das 1934 eröffnet wurde und zuerst J.V.Stalin Kombinat hiess. Erst nach dem zweiten Weltkrieg begann man in den Kombinaten wieder mit einer ordentlichen Produktion. Auch diese wilden Blumenstoffe hatten den typischen orientalischen Eskapismus zum Thema und funktionierten nach dem Gestaltungsprinzip: Mehr ist Mehr!  Heute lässt sich dabei oft nicht leicht feststellen, ob die Stoffe in russischen oder zentralasiatischen Fabriken hergestellt wurden, weil das Design so oft identisch ist. Auf jeden Fall integrierten die Usbeken die russischen Printstoffe so in ihr Leben, das sie, wie auch ihre eigenen Textilien, neben der ästhetischen auch eine spirituelle Bedeutungen hatten. Zur Freude der russischen Textilindustrie und der Händler natürlich.

 Noch mehr wissen über Stoffe in Usbekistan.

Bilder, rechte Seite von oben nach unten:

1. Im Inneren einer Baumwollweberei. Hier wird das Garn hergestellt. Sergei Mikailovich Prokudin-Gorskii, zwischen 1905-1915. Library of Congress Prints & Photographs Division Washington, D.C.  20540 USA

2. Textilhändler in Samarkand. Er verkauft gestreifte Stoffe, Blumendrucke, einfarbige Stoffe, Seide, Baumwolle, Wolle…Er selbst trägt einen Chapan aus russischen Rollendruckstoff. Sergei Mikailovich Prokudin-Gorskii, zwischen 1905-1915. Library of Congress Prints & Photographs Division Washington, D.C.  20540 USA

3. Hier sieht man wunderbar die Vielfalt der Stoff und Muster, die sich in den Chapans wiederspiegeln. Sergei Mikailovich Prokudin-Gorskii, zwischen 1905-1915. Library of Congress Prints & Photographs Division Washington, D.C.  20540 USA

4. Moderne Umsetzung der gestalterischen Idee: Alles paßt zusammen. Samarkand 2013

5. Hier freuen sich junge Männer in klassischen gestreiften Bekasab Chapans über die tollen Druckstoffe im Laden. Usbekistan Ende der 40er Jahre. Foto: Max Penson.

6. Als wenn die Zeit stehengeblieben wäre. In einer Textilgalerie in Bukhara. 2013

7. Das Tashkent Textilkombinat begann mit der Arbeit 1934. Es war die größe Baumwollverarbeitung in ganz Zentralasien und eine der größten der UDSSR. Foto: Max Penson, 1938