Das Alltagsgeschirr in Usbekistan

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Die Geschichte des industriell hergestellten Teegeschirrs aus Zentralasien beginnt mit der russischen Porzellanfabrik Gardner und der Kolonialmacht Russland.

Als Zentralasien noch das unter russischer Kontrolle stehende koloniale Turkestan gewesen ist, nutzten russische Unternehmen wie Gardner diesen neuen Markt für den Verkauf ihrer Waren. Da sie im Zuge wirtschaftlicher Umstellungen durch die Industrialisierung und einem größeren Konkurrenzdruck unter enormen Druck gerieten kamen ihnen diese neu erschlossenen zentralasiatischen Märkte gerade Recht. So überfluteten sie die neuen Märkte mit ihren Waren. Das typische auffällige Blumendekor des Gardnerporzellan ist auf so vielen alten Fotos zu entdecken, das man sich seine große Präsenz in der damaligen Zeit sehr gut vorstellen kann. Francis Gardner, der Gründer der Manufaktur, war ein Engländer, der Mitte des 18. Jh. mit Kopien von Meissener Porzellan sein Unternehmen begann. Er folgte dem Ruf Peter des Grossen nach Russland, der Handwerkern und Manufakturen damals große Privilegien versprach, wenn sie sich in Russland ansiedelten. 1767 fand er eine Porzellanfabrik in Verbilki, einem Vorort von Moskau, die er übernahm. Sein erster Manager kam aus Saxen, daher der Hang zu Meissner Kopien. Mit einem Grossauftrag von Katharina der Großen startete der grosse Erfolg der Porzellanmanufaktur. Mit eigenen Entwürfen wurde Gardner dann wirklich so etwas wie das russische Meissener Porzellan, was sich natürlich auch im Preis widerspiegelte. Gegen Mitte des 19 Jh. begann die Manufaktur wirtschaftlich zu schwächeln und versuchte sich auf den neuen kolonialen Märkten in Zentralasien. Man erkennt dieses Gardener Geschirr daran, das auf der Rückseite neben dem Gardener Stempel auch ein arabischer Schriftzug zu erkennen ist. Die Touristenverkäufer in Bukhara behaupten gerne, das das so gekennzeichnete Geschirr ein Geschenk der Russen an den Emir von Bukhara gewesen ist. Das ist natürlich Quatsch, aber trotzdem eine hübsche Geschichte.

Die Schalen und Teekannen hatten einen langen Weg aus Russland hinter sich und wurden in Usbekistan gerne in den Wandnischen aufbewahrt, damit sie auch jeder sehen konnte. Andere Möbel hatte man ja nicht. Zahlreich geflicktes, altes Gardner Porzellan ist auch heute noch existent, da es aufgrund seines Anschaffungspreises, jeden Mülleimer widerstehen konnte.

1892 wurde Gardner an den russischen Geschäftsmann M.C. Kuznetsov verkauft, der allerdings in erster Linie für die Massen produzierte. Es wurden zwar auch weiterhin die blumigen Schalen und Kannen produziert, aber nun in einer sehr viel gröberen Qualität. Sie sind schwerer, weniger durchscheinend und auch die Bemalung ist plumper. Kuznetsov ist allerdings auch für seine bunten und aufwendigen Ikatteller und Schalen bekannt, die schon damals besonders wertig und kostbar waren, da sie handgearbeitet und aufwendig in der Herstellung waren. Mit dem Beginn der Sowjetära in den 20er Jahren verschwand das Geschirr langsam aus dem Alltagsleben. Nun fing man in Zentralasien an sein eigenes Geschirr zu produzieren. Diese Porzellanfabriken waren in Kolchosen organisiert. Ca. in den 60er Jahren begann man in Anlehnung an die textilen Traditionen des Landes Ikatmuster von Hand mit Schablonen auf einfache Porzellanwaren gemalt. Besonders beliebt war in diesen Jahren, als die Landwirtschaft Usbekistans von den Sowjets in eine Baumwoll-Monokultur verwandelt wurde, auch das Motiv des Baumwollbollens. Man findet dieses in unzähligen Varianten, als Bollen wie eine Wolke, als Bollen mit Stumpf wie ein Baum, oder abstrakt wie ein arabisches Motiv. Auch dieses Geschirr, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Usbekistan nicht mehr produziert wurde, ist fast vollständig aus der Alltagskultur verschwunden. Das heutige Geschirr mutet mit seiner Ornamentik und seiner hochglänzenden blau-goldenen Farbgebung sehr barock-orientalisch an.

Noch mehr wissen über Usbekistan. 
 
Abbildungen rechts von oben nach unten:
1. Das Bild mit dem Titel „Das orientalische Caféhaus“ von Aleksei Isupov findet man im Igor Savitsky Museum in Nukus, Usbekistan, ein Muß für jeden Reisenden, der sich in Zentralasien verliebt hat. Es entstand zwischen 1914-21 und auch hier sehen wir wieder die geblümten Kannen. 
2. und 3. Hier eine typsiche Blumenschale von Gardner. Darunter der Stempel. Die asiatischen Schriftzeichen zeigen, das es sich hier um eine Schale für den Export nach Zentralasien handelt. 
4. Heute ist das usbekische Alltagsgeschirr Dunkelblau mit dicken Goldrändern. Das ist leider nicht mehr so schön
5.  Ein typisch usbekisches Wandnischenregal, in dem gerne das feinste Geschirr gezeigt wurde.
6. Zuhause bei Teetrinken. Ganz modern mit Wasserkocher, Tisch und Stühlen. Vielleicht ist es deshalb betitel mit „A new life.“ Max Penson, Usbekistan, ca 1940. 
7. Chaikana in Samarkand, Usbekistan. Sergei Mikailovich Prokudin-Gorskii, zwischen 1905-1915. Library of Congress Prints & Photographs Division Washington, D.C.  20540 USA
8. Teeverkäufer in Samarkand, Usbekistan. 1871-72. Man sieht jede Menge Teekannen mit Blumenmuster aus der russischen Porzellanmanufactur Gardner. Das wäre heute ein Vermögen wert. Aus dem Turkestan Album. Library of Congress Prints & Photographs Division Washington, D.C.  20540 USA
9. Hier eine Schale von Kuznetsov, dem Nachfolger der Gardner Manufactur