Innenraumgestaltung in Kalotaszeg

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Die häuslichen Textilien aus der ungarischen Region Kalotaszeg wurden in der Regel von den Frauen für den eigenen Bedarf hergestellt. Da sie die handwerklichen Fähigkeiten dazu schon als junge Mädchen lernten, waren sie dementsprechend gut. Als erste Lehrstücke dienten meist Manschetten und Taschentücher, als sechs- oder siebenjährige konnten sie dann schon die Ränder von Bettlaken und Kissenbezüge verzieren. Mit besonderer Geschicklichkeit konnte man sich mit der Aussteuer, die nach der Hochzeit im Hause des Ehemanns zur Besichtigung ausgestellt wurde, viel Anerkennung verschafften. In manchen Gegenden Ungarns galten die Erzeugnisse als so eng mit ihrer Urheberin verbunden, das es Sitte war kinderlos verstorbenen jungen Frauen ihre schönste Handarbeit mit ins Grab zu legen. Mit dem Aufkommen von kommerziellen Textilarbeiten Ende des 19 Jh. kamen natürlich auch sehr viel weniger bedeutungsschwere Textilien in Umlauf.

Die aussergewöhnlichen Stickereien von Kalotaszeg wurden mit einem Gänsekiel oder einem Spindelende, das man in mit Milch verrührten Ruß tauchte, auf dem Leinen vorgezeichnet. Diese Art der vorgezeichneten Stickerei nennt man Irásos-Stickereien. Heute machen die alten Damen dies mit einem Kugelschreiber. Das Vorzeichnen übernahmen meist die älteren Frauen, da sie die zahlreichen Formen des unzähligen Musterschatzes auswendig kannten. Für die weniger begabten Stickerinnen gab es Vorzeichnerinen und sogar Berufsstickerinnen, die gegen ein geringes oder hohes Entgelt ganze Aussteuern bestickten.

Die Frauen fertigten die Stücke mit der “geschriebene” Stickerei bis zum Ende des ersten Weltkriegs nur für sich selber an. Erst danach entwickelte sich neben dem Eigenbedarf auch eine Art dörflicher Industrie, zu der auch das Anfertigen von Stickereien zum Verkauf gehörte. Die Stickereien und Applikationen zeigen eine auf den Regeln des Kontrastes beruhende Farbigkeit, in der grosse weisse Flächen neben den Kontrastfarben Schwarz, Rot oder Blau stehen. Wobei Rot mit Abstand die wichtigste Farbe ist. Fast alle bestickten Haustextilen sind zweifarbig, bei Kreuzsticharbeiten kann diese schonmal sein. Sowohl bei der Kleidung als auch bei den Wohntextilien wurden immer nur die Stellen bestickt, die auch zu sehen waren. Neben dem oft verwendeten Kett- und Schnürstich wurden im Laufe der Jahre durch das Ausfüllen der Flächen mit Plattstich die Muster immer weiter verdichtet. Diese Verdichtung geht ebenso wie der Detailreichtum seid dem Ende des letzten Jh immer weiter zurück.

Die Gestaltung des Innenraumes mit den Textilen folgte der Regel der Fülle, je mehr desto besser. Die Anordnung der Handtücher an den Wänden, die auf dem Bett mit der verzierten Seite nach vorne gestapelten Kissen, die Wandbehänge und Tischdecken lassen darauf schliessen, das es hier wohl eine Art Horror vacui gab, die Angst vor leeren Räumen. Auch wenn es sich um viele Textilen und extrem floral bemalte Möbel handelte, die in den Stuben Kalotaszegs bis heute noch zu finden sind, so wurde alles doch sehr gerade und akkurat angeordnet.

1939 stellte der Kunsthistoriker Walter Passarge die Gestaltungsgesetze der Volkskunst ausführlich und treffend zusammen. Hierzu gehören unter anderem ihre Flächenhaftigkeit, die geometrische Vereinfachung der Formen, die zeichenhafte Typik der Gestalten und Dinge, die Bewegungslosigkeit, regelhafte Ordnung, Axialität, Symmetrie und Dopplung, die einfache oder rhythmische Reihung, die konzentrische Ordnung, die ornamental-sinnbildliche Bedingtheit der Grössenverhältnisse, die klare zeichnerische Linienführung, die ungebrochene starke Farbgebung und schließlich die Tendenz zur Ornamentalisierung. Man könnte meinen bei dieser Zusammenfassung hatte er ein Stück aus Kalotaszeg vor sich.

Noch mehr wissen über Kalotaszeg.

Fotos von oben nach unten:

1. Erdödi Mihály, Körösfö 1940. Aus dem Archiv des ethnologischen Museum in Budapest. Neprajzi Museum Budapest.

2. Körösfö 2013, Zuhause bei Anna Mihály.

3. Interior aus dem Buch “Izvoru Crisului, Poarta Ardealului 2011

4. Vados Ernö, Körösfö 1930. Aus dem ethnologischen Museum in Budapest.

5. Detailaufnahme der Stickerei

6. Stickerei auf Bezügen

7.-9. Innenraumimpressionen heute